Sonja Ablinger

Worum es bei der Debatte um Obsorge gehen sollte….

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1.     Um Wirklichkeiten

Der österreichische Wissenschafter Erich Lehner hat bei der Parlamentarischen Enquete zum Thema im Juni 2010 auf eine Kultur der Ungleichverteilung hingewiesen, dass nach wie vor Haus- und Familienarbeit in Partnerschaften höchst ungleich verteilt sind: „Männer werden da nicht benachteiligt, sondern die Spruchpraxis ratifiziert die österreichische Kultur. (…) Kinder brauchen vor allem Bezugspersonen, die präsent und verfügbar sind. Für Väter würde das bedeuten, dass sie, um so eine qualitative Bezugsperson zu werden, 42 Prozent der Haushaltsarbeit übernehmen müssten. Das heißt ganz lapidar: kochen, waschen, putzen für ihre Kinder. Wir wissen auch, dass das einen positiven Effekt auf die Beziehungen hat.“

2.     Um Ehrlichkeit

Die deutsche Journalistin Ulrike Winkelmann weist in einem Artikel auf versteckte Machtmechanismen hin: „Ein gemeinsames Sorgerecht, das nur mit Widerwillen der Mutter erwirkt wurde, könnte sich für sie nicht nur als Bremsklotz, sondern als Machthebel eines Vaters herausstellen, der Frau den Rest ihrer Autonomie zu nehmen. Denn sie wird erpressbar: Unterschrift zur Beantragung eines Reisepasses? Nur wenn sie den Urlaub des Kindes selbst bezahlt. Will sie für einen Job in ein anderes Bundesland umziehen, könnte er das zu verhindern suchen – zum Beispiel mit der Drohung, den Unterhalt zu kürzen. Eine Zukunft im Ausland wäre ihr komplett untersagt. Schulwahl – er hat ein Veto.

Die Vorstellung vieler Juristen, es lasse sich jeder Streitfall – Schul- oder Alternativmedizin? Konfirmation oder nicht? – von Gerichten oder Jugendämtern regeln, hat wenig mit dem Alltag zu tun, in dem Eltern versuchen, ihren Kindern Verlässlichkeit und Zuversicht vorzuleben. Ein Dauerkampf aber um jeden größeren Schritt im Leben kann sich nicht zum Wohl des Kindes auswirken. So zu tun, als profitiere das Kind in jedem Fall vom gemeinsamen Sorgerecht, als drohten nicht ganz neue Kümmernisse und Belastungen, ist lebensfremd.“

 

3.     Um den Blick aufs Ganze

Dazu Erich Lehner bei der Enquete im Parlament: „Ich glaube auch, dass wir sehen müssen, dass mit der Obsorge nur bedingt gute Lösungen gemacht werden können, weil die Wurzeln der Probleme am Beginn einer Beziehung liegen – dort, wo Männer und Frauen sozusagen ungleich verteilt sind, wo in der Familie bei der Aufteilung der Pflege und des Erwerbs Ungerechtigkeit herrscht.

Beide Eltern sollten in die Pflicht genommen werden: aber nicht erst bei der Trennung, sondern schon am Beginn einer Beziehung. Ich glaube, dass wir diese Diskussion über Obsorge verbinden sollten mit einer sehr intensiven Gleichstellungsdiskussion, in der wir versuchen, Männer zu gleichen Anteilen in die Familie zurückzubringen. Das heißt: Wir brauchen 50 Prozent Karenzväter, wir brauchen viel mehr Teilzeit arbeitende Männer, und wir brauchen eine strukturelle Veränderung. Wenn das kommt, dann bin ich automatisch auch für ein Obsorgemodell, wie es in den skandinavischen Ländern existiert, wo dieser hohe Pflegeanteil der Männer in der Familie später weiter- geht in einer Obsorge.“

 

4.     Um Gerechtigkeit

Was bei der Debatte um Obsorge nicht aus den Blick geraten darf: Es geht es auch um die Fragen zur Reform des Unterhaltsrecht. Wir können nicht Obsorgereformen diskutieren, ohne die Lücken im Unterhaltsrecht zu schließen. Die Hälfte der Alleinerzieherinnen bekommt keinen (regelmäßigen) Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss, aber ein Drittel lebt in Armut und an der Armutsgrenze. Unterhaltsfragen sind zentrale ökonomische Angelegenheiten - sie aus dieser Diskussion auszuklammern und über gemeinsame Obsorge zu reden, verhöhnt Alleinerzieherinnen, die jahrzehntelang kein Geld vom Vater der Kinder sehen.

 

…und nicht gehen sollte

 5.     Um die halbierte Automatik…

Wenn über die verpflichtende gemeinsame automatische Obsorge gesprochen wird, weil es im Sinne des Kindeswohls ist, dann stellen sich folgende Fragen an jene, die das befürworten:

  • Ist dann auch an eine verpflichtende automatische Väterkarenz gedacht?
  • Ist dann auch an eine verpflichtende automatische Teilnahme des Vaters am Elternabend im Kindergarten gedacht?
  • Ist dann auch an einen verpflichtenden automatischen Besuch des Vaters beim Elternsprechtag gedacht?
  • Ist dann auch gedacht an verpflichtende automatische Geldstrafen, wenn der Vater die Besuchstage nicht wahrnimmt, kurzfristig absagt, sich über Wochen und Monate nicht meldet?
  • Ist auch gedacht an verpflichtende automatische Maßnahmen, wenn der Vater keinen Unterhalt leistet?
  • Ist auch an verpflichtendes automatisches Antigewalt-Training und Obsorge- sowie Besuchsrechtentzug für gewalttätige Männer gedacht?

Ist also auch an Halbe/Halbe und automatisch geteilte Aufgaben schon vor der Scheidung und Trennung gedacht?

 

6.     Um Verwechslungen

Obsorge hat nichts mit Besuchsrecht zu tun. Natürlich hat ein Kind das Recht auf beide Elternteile, aber was wenn der Vater die Besuchszeiten nicht einhält? Es gibt keine Verpflichtung, das Besuchsrecht tatsächlich einzuhalten. Das wurde vom Obersten Gerichtshof (OGH) seinerzeit so ausjudiziert. Ein Vater kann nicht zum Besuch des Kindes gezwungen werden. Er hat das Recht, aber nicht die Pflicht, das Kind zu sehen.

 

Es geht also darum, dass

  • die kooperative (nicht gegen Zwang und im Konflikt erzwungene) gemeinsame Obsorge zur Regel wird.
  • die Verfahren zur Scheidung, Obsorge und Besuchsregelung entkoppelt werden.
  • Gewalt jedenfalls Ausschluss von gemeinsamer Obsorge bedeutet.
  • hoch eskalierte Trennungskonflikte rasch Mediationsangebote bei Familienschlichtungsstellen, Kindesbeistand und Besuchsbegleitung zur Folge haben.
  • ein modernen Familienrecht gleichermaßen aufgeteilte Karenz, geteilte Haus- und Erziehungsarbeit und Halbe/Halbe fördert und fordert.
  • die Lücken beim Unterhaltsrecht geschlossen werden (zum Beispiel Unterhaltsvorschuss bis zum Ende der Ausbildung und nicht nur bis zum 18. Lebensjahr)

 

 

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