Sonja Ablinger

‘Geschlechterpolitik mit offenen Karten’

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In Österreich sinken seit Mitte der neunziger Jahre die Reallöhne der unteren Einkommensgruppen, während die höheren Verdienste steigen und die Gewinne explodieren. Parallel dazu stieg in Österreich die Teilzeitbeschäftigung auf Kosten der Vollzeitarbeitsplätze bei Frauen. Leiharbeit nimmt auch bei Frauen ebenso rasant zu wie prekäre Beschäftigung. All das hat zur Folge, dass immer weniger (Frauen) von ihrer Arbeit leben können. Die gegenwärtige europäische Wirtschafts- und Krisenpolitik ist dazu ‘Geschlechterpolitik mit versteckten Karten’. Sie schraubt die Eigenständigkeit und Teilhabemöglichkeiten von Frauen zurück, weil sie den umverteilenden Wohlfahrtsstaat zurückdrängt zugunsten von Lohndruck und Privatisierung sozialer Leistungen.

Es lohnt darum, einen genauen Blick darauf werfen, wie sich die Frauenbeschäftigung in Österreich entwickelt. Wie die Arbeiterkammer in einer Darstellung zu Frauenerwerbstätigkeit aufzeigt, basiert der Anstieg der Beschäftigung bei Frauen von 2008 bis 2010 auf einem Wachstum von Teilzeitbeschäftigung. Nur mehr rund die Hälfte der beschäftigten Frauen hatte 2010 ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis.

Zwischen 2009 auf 2010 gingen genauso viele Vollzeitarbeitsverhältnisse verloren, wie Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse (inklusive der geringfügigen Beschäftigungen) von Frauen dazu gekommen sind. Unter Berücksichtigung des Arbeitsvolumens ist es damit zu einem effektiven Beschäftigungsrückgang bei den Frauen gekommen. Im Vergleich zu 2008 ist der Anteil der Frauen, die in einem Normalarbeitsverhältnis (unbefristete Vollzeitstelle) beschäftigt sind, von 54 % auf 51% im Jahr 2010 deutlich gesunken. Damit sind 2010  rund 24.000 Frauen weniger in unbefristeter Vollzeit beschäftigt als noch zwei Jahre davor. Im selben Zeitraum ist die Zahl der atypisch beschäftigten Frauen um 55.000 gestiegen.

Diese Ungleichheiten am Arbeitsmarkt und die Tatsache, dass Frauen überwiegend Teilzeit oder geringfügig beschäftigt sind, basieren wesentlich darauf, dass die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie fast auschließlich von Frauen beantwortet werden muss. Frauen (ob mit oder ohne Kinder) gelten noch immer als Dazuverdienerinnen und das widerspiegelt sich in ihren Einkommen ebenso wie in sozialstaatlichen Anspüchen und wohlfahrtstaatlichen Leisutngen.

Die Folgen sind bekannt: Eklatante Einkommensunterschiede, Berufsunterbrechungen und Armut, die sich als Altersarmut nochmals verstärkt. Dass Frauen, weil sie Frauen sind, auch im Jahr 2012 noch immer ökonomisch benachteiligt sind, wird selten als Defizit formuliert.  „Österreich hat 35 Mrd Euro an Haftungen für Banken übernommen. Die jährlichen Ausgaben für Kinderbetreuung und Pflege machen nur einen Bruchteil aus. Auf die Dramatik im Bankensektor wurde rasch reagiert. Die Dramatik, die alltäglich produziert wird, indem für Kinderbetreuung, Bildung, Pflege nicht ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden und auf unbezahlte Arbeit von Frauen zurückgegriffen wird (mit all den Folgen von nicht existenzsichernder Arbeit, Altersarmut, etc.) wird nicht gesehen.“ (Ingrid Moritz, Leiterin der Frauenabteilung, AK Wien)

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zum Schluss, dass „die Krise und die schlechte staatliche Finanzlage in allen Staaten als Auslöser und Rechtfertigung dienten, sozialstaatliche Kürzungen durchzusetzen. Während die nationalen Ausmaße verschieden ausfallen, so zeichnet sich ein Rückzug von staatlichen Leistungen und eine Wende hin zu individuellen Zuzahlungen und zur Risikovorsorge ab. Neben Kürzungen im Gesundheitsbereich sind auch die Leistungen anderer sozialstaatlicher Bereiche zurückgefahren worden.

Die gegenwärtige europäische Wirtschafts- und Krisenpolitik ist vor diesem Hintergrund ‘Geschlechterpolitik mit versteckten Karten’ (Elisabeth Klatzer und Christa Schlager in: Genderdimensionen der neuen EU-Economic Governance, in: Zukunft, 3/2012). Sie schraubt die Eigenständigkeit und Teilhabemöglichkeiten von Frauen zurück, weil sie den umverteilenden Wohlfahrtsstaat zurückdrängt zugunsten von Lohndruck und Privatisierung sozialer Leistungen.

Es geht darum, das Gerüst der ungerechten Geschlechterverhältnisse endlich abzutragen werden. Dabei ist eines klar: Es gibt keine Demokratie ohne Geschlechtergerechtigkeit. Darin liegen die Chance und die Herausforderung für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.

Wir verstehen Feminismus als Ermächtigung der Frauen, als unteilbares Recht auf eigenständige Lebensführung. Die vielfältigen Lebenswege, für die sich Frauen heute entscheiden wollen, müssen sie auch gehen können, ob mit oder ohne PartnerIn, mit oder ohne Kinder, in jungen Jahren wie im Alter, ob als Hier-Geborene oder Zugewanderte. Ein unabhängiges Leben muss möglich sein und darf für Frauen nicht bedeuten, dass sie immer nur „einen Mann weit von der Armut entfernt“ sind. Das verlangt einen Umbau bei allen sozialen Sicherungssystemen. Sie müssen sich an der Eigenständigkeit und nicht an (von Ehemännern) abgeleiteten Ansprüchen orientieren. Wer will, dass Armut nicht mehr weiblich ist, muss Selbständigkeit und nicht das Ernährermodell und die Versorgungsehe ins Zentrum stellen.

Dafür müssen auch die Einkommensunterschiede, die unterschiedlichen Platzanweisungen und Chancenzuteilungen zwischen Frauen und Männern am Arbeitsmarkt in die Rumpelkammer der Geschichte verstaut werden. Gleichberechtigung muss endlich in den Betrieben ankommen und nachhaltig verankert werden. Dies wird ohne Eingriffe in die Unternehmenspolitik nicht zu erreichen sein. Die strenge Koppelung öffentlicher Aufträge an Gleichstellungsmaßnahmen ist ein in mehreren Ländern erprobtes und erfolgreiches Modell. Wer sich nicht daran hält, wird von der Vergabeliste gestrichen. Das Modell der Koppelung ist natürlich auch ein klares Bekenntnis, dass der Markt gerechte Verhältnisse nicht herstellt. Das sollte uns nicht irritieren. Das wissen wir.

Familienpolitik muss emanzipatorisch und egalitär sein. Sie muss im Grundsatz geprägt sein von einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung und gegen traditionelle Rollenzuschreibung intervenieren. Wir müssen die Männer ins Boot holen und damit die familiär bedingten Benachteiligungen für Frauen am Arbeitsmarkt aufbrechen. Ein modernes Familienrecht verpflichtet junge Väter zur Babypause und macht sie damit erst für alle möglich. Der (mehrmonatige) Berufsausstieg nach der Geburt eines Kindes ist zumutbar – für Unternehmen und für Väter. Das wäre auch der Einstieg in eine daran anschließende verpflichtende Aufteilung der Karenzzeiten, in der sich Eltern die Kinder-Auszeit teilen müssen und nicht nur sollen. Das reduziert die Dauer des Berufsausstiegs von Müttern, erleichtert Vätern den Umstieg in die Babypause und nimmt Personalchefs die Ausrede, dass sie in der Weiterbildung nur auf Männer setzen können, weil sie dem Unternehmen ohne Berufsunterbrechungen zur Verfügung stehen.

Über all dem steht die Frage nach dem verfassungsmäßigen Recht auf gleichberechtigte Mitbestimmung. Die Pionierinnen forderten damals „Heraus mit dem Frauenwahlrecht!“ Heute muss es heißen: „Her mit der Quote!“ Wir brauchen gesetzliche und damit verbindliche Männerquoten, um ihre überbordende Sehnsucht nach Mandaten und Führungsfunktionen zu beschränken. Es ist ein Gesetz, das weiblichen Lebensrealitäten in allen Entscheidungsgremien einen gleichberechtigten Sitz und eine ebenso laute Stimme verleiht.

Denn wie vor hundert Jahren gilt auch heute: Wir wollen Brot und Rosen und werden gemeinsam gehen. Das wäre eine ‘Geschlechterpolitik mit offenen Karten’.

 

 

 

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